11.8.

2875 g. Wie erwartet ist die Muttermilch heute wieder eingedickt, und schon klappts mit dem Trinken auch gleich viel besser. Bei Mami hab ich jetzt auch mal 35 ml geschafft; eine Meisterleistung, hab ich doch bis anhin bei ihr immer so schlapp gemacht und soooo wenig getrunken. Ich wollte doch immer viel lieber känguruhen als trinken, doch davor darf ich eben nicht kuschen.

Aber dennoch: Beim Trinken machte ich wieder mal wie üblich eine Bradykardie. Ich geh da manchmal etwas zu hastig an die Sache und vergess da schon mal das Atmen. Na ja, irgendeinmal werd ich das dann doch noch raus bekommen.

Heute hatte ich mal wieder ein ziemliches Programm: Nebst den üblichen Gepflogenheiten musste ich heute noch ein Nieren-Sono über mich ergehen lassen. Mami war zum Glück die ganze Zeit dabei, denn an dieser Untersuchung hatte ich nicht so wirklich meine Freude. Da strich mir doch so ein Herr Doktor ein kaltes Gel auf mein Bäuchlein und fuhr die ganze Zeit mit einem harten Ding darüber. Nein, das war nichts für mich, das liess ich auch mehrmals verkünden. Der Herr Doktor liess mich jedoch nicht ziehen, drehte mich statt dessen auf mein Bäuchlein und schallte mir über den Rücken. Na ja, so gings schon etwas besser. Aber auch nur, weil man mir keine andere Wahl liess.

Nach einem längeren Weilchen wurde Mami dann schon der Befund mitgeteilt. Meine Niere zeigt eine leichte Beeinträchtigung. Sie hat vermutlich beim Urininfekt doch was abgekriegt, auch wenn man dies beim letzten Ultraschall nicht sehen konnte. Dies sollte sie in aller Regel von selber ausheilen, doch müsste ich in ein paar Monaten wieder zu einer Nachkontrolle. Heisst das, ich muss diese komische Prozedur noch mal über mich ergehen lassen???? Oh Mist…

Nach der Untersuchung wurde ich von Mami gebädelet, war ich doch beinahe von Kopf bis Fuss mit dem Gel voll geschmiert. Nani, Grosspapi und Luana durften mir dann auch noch zuschauen und meine grossen Äuglein bewundern, die ich jeweils beim Baden mache. Vor allem Nani war von ihnen ganz angetan, hatte sie die bisher noch nie an mir bewundern können. Ich bin mir sicher, wir beide werden in nächster Zeit noch öfters Gelegenheit dazu haben.

12.8.

2890 g, 44,5 cm, Kopfumfang 32,5 cm. Im Gegensatz zu gestern war es heute meine Mami, die ein volles Programm hatte. Zuerst gings in die Milchküche, wo sie instruiert wurde, wie man die Milch für mich zubereitet. Diese muss mit dem Nestargel eingedickt und zusätzlich mit dem Pulver FM85 ergänzt werden, was eine Nahrungsergänzung für Früh- und Mangelgeborene ist und zahlreiche Vitamine und Kohlenhydrate enthält. Wer weiss, vielleicht ist es ja dieses Aufbaumittel, das mich immer so schnell sättigt und mich dann trinkfaul macht?!

Danach kam meine Mami zu mir und gab mir nach kurzer Zeit auch gleich von der feinen Muttermilch zu trinken. Und ich hab ihr mal gezeigt, dass ich auch ganz anders kann, denn ich habe bei ihr sagenhafte 50 ml aus dem Schoppen getrunken. Allerdings brauchte ich dafür auch ganze 45 Minuten. Da hat sich Mami schon mal ausgemalt, wie dies dann sein würde, wenn ich zu Hause bin…. Nun ja, ich bin halt ein ganz besonderes Kind auch brauch auch jede Menge Geduld. Ich nehm mir meine Zeit, die ich brauche, hab ja alle Zeit der Welt für mich.

Bevor ich trinken durfte, wurde mir übrigens die Sonde wieder neu gelegt. Und damit Mami dies zu Hause dann auch ja beherrscht, musste sie (und ich) heute dran glauben und selber Hand anlegen. Mami wollte beim Sonden legen möglichst souverän aussehen, damit mich die Ärzte dann ruhigen Gewissens ziehen lassen können. Doch das ist schneller gesagt als getan. Schon beim Kleber entfernen protestierte ich und erst recht beim Schläuchlein in den Hals stecken. Liebe Leute, da muss ich doch würgen. Habt doch Mitleid mit mir und erspart mir diese Qualen…

Ansonsten gibt’s für heute nicht mehr so viel zu erzählen. Am Morgen hatte ich ein Herz-Sono. Die Schwestern wussten dann später nichts darüber zu berichten, also wird alles in bester Ordnung sein.

Ich sättige jetzt übrigens meist um die 100 % rum, mach dies also fantastisch. Ab und zu mach ich noch meine Bradykardie, aber wirklich nur noch beim Trinken, also nicht wirklich gefährlich.

Ach ja, bevor ichs vergesse: Ich wollte euch noch erzählen, dass meine Haare auf meinem Oberhaupt wieder spriessen und meine Halbglatze zum Verschwinden bringen. Dafür fallen mir jetzt die Haare als Ausgleich am Hinterkopf aus. Halt auch, weil ich zunehmend mein Köpfchen drehe und die Haare auf dem Kissen reibe.

13.8.

2940 g. Heute ist der Tag aller Tage. Vor genau 100 Tagen wurde ich geboren, ganze dreieinhalb Monate zu früh. Heute wäre mein errechneter Geburtstermin gewesen. Und heute durfte meine Mami erfahren, dass ich schon baaaaald nach Hause gehen kann!

Die Chefarztvisite ist vorbei und Mami platzt beinahe vor Neugier. Ich häng ja immer noch am Monitor, komm doch erst davon los, wenn ich fünf Tage lang keinen Pulsabfall mehr habe. Das kann ja noch ein Weilchen dauern.

Dann die erlösende Nachricht von den Krankenschwestern. Jawohl, das lange Warten hat ein Ende, übermorgen kann ich endlich nach Hause gehen. Endlich ist es soweit, endlich können wir eine richtige Familie zu Viert sein. Mami freut sich wie verrückt, hat aber gleichzeitig auch Bammel vor den langen (?) Nächten. Wie wird dies sein mit mir zu Hause? Gibt’s da schlaflose Nächte, vor allem, wenn ich mit dem Trinken und dem anschliessenden Sondieren so lange brauche? Da muss nun meine Mami durch wie alle anderen frischgebackenen Mamis auch. Ab Freitag wird sie Tag und Nacht zu mir schauen!

Die Chefärzte haben entschieden, dass ich mit Magensonde aber ohne Monitor von dannen ziehen darf. Der Monitor kann abgestellt werden, denn ich mach meine Bradykardien ja wirklich nur noch beim Trinken, und da bin ich unter steter Beaufsichtigung. Also kein Grund zur Besorgnis.

Am Nachmittag werde ich dann von Mami gebadet. Dazu muss sie wie immer meine 3 Elektroden entfernen, welche auf meiner Brust fest kleben und üblicherweise an den Monitor gekoppelt werden. Doch diesmal ist es was anderes: Nach dem Baden müssen mir keine neuen Elektroden mehr angehängt werden, mein Monitor wird jetzt schon abgestellt. Hurrah, endlich wieder ein paar Kabel weniger. Nun trag ich nur noch die Magensonde im Gesicht, ansonsten bin ich absolut kabelfrei!

Heute wurde ausserdem vorübergehend das Inhalieren (mit Ventolin) gestoppt. Morgen werd ich einem Lungenfunktionstest unterzogen, und der soll aussagekräftige Resultate liefern. Dieser Lufu-Test wird üblicherweise in der 44. „Schwangerschaftswoche“ gemacht. Bei mir wird der Test jedoch vorgezogen, damit meine Mami und ich nicht schon wieder nach so kurzer Zeit ins Spital zurück kommen müssen.

Meine Gedanken zum heutigen Tag:

Heute vor 100 Tagen kam ich voller Neugier auf die Welt. Ganze 33 cm gross war ich, brachte 780 g auf die Waage und hatte einen Kopfumfang von 23 cm. Die Statistiken gaben mir eine Überlebenschance von 70 - 80% und eine Wahrscheinlichkeit von 20 - 30%, dass ich eine bleibende Behinderung davon tragen würde.

Alles in allem hab ich mich doch gaaaanz gut gemacht und alle Statistiken Lügen gestraft! Ich hatte Pilze auf der Haut, einen Infekt am Arm und später auch in der Brust, eine Blasenentzündung, eine kritische Situation im Alter von 5 Wochen wo ich wieder beatmet werden musste, eine chronische Lungenkrankheit und die typischen Atemnotsyndrome der Frühgeborenen. Doch das ist jetzt alles Schnee von gestern.

Ab heute bin ich ein grosser Junge, denn heute wäre mein eigentlicher Geburtstermin. Ich mach mich eigentlich ganz gut, nur bring ichs mit dem Trinken noch nicht so ganz auf die Reihe. Wie geht denn das, Trinken und gleichzeitig auch Atmen? Das begreif ich noch nicht so ganz und so lass ich halt ab und zu das Atmen sein und werde ganz bleich im Gesicht. Und weil ich das Trinken sooooo anstrengend finde, schaff ich nur etwa die Hälfte des Schoppens und bekomm den Rest dann direkt via Sonde in den Magen geleitet. Aber auch das werd ich eines schönen Tages ablegen können, das letzte verbliebene Schläuchlein an mir!
Mami durfte zur Feier des heutigen Tages die restlichen Kabelchen von mir fortnehmen - ich brauch jetzt keinen Überwachungsmonitor mehr. Ich mach zwar nach wie vor meine kleinen Pulsabfälle, aber eben nur beim Trinken. Und da wird mich Mami immer ganz genau beobachten und mir genügend Zeit lassen, dass ich mich nicht etwa übertue.

Nun, da brennt mir doch noch was auf der Zunge: Ja ja ja ja ja ja jaaaaaaaa, am Freitag darf ich nun endlich nach Hause kommen! Ich weiss zwar gar nicht recht, was das ist, aber es muss was Schönes sein, denn meine Mami freut sich ganz toll. Sie ist schon richtig hibbelig und eilt in der Wohnung hin und her. Hurrah, endlich ist es soweit!

14.8.

2945 g. Am Morgen hatte ich wie geplant meinen Lungenfunktionstest. Schon am Nachmittag erhielt Mami Bescheid, dass sich der Befund seit dem letzten Mal nicht gross geändert hat. Die Bronchien sind etwas verengt, und ich habe einen Widerstand beim Atmen. Ausserdem gebrauche ich nicht die ganze Lunge zum Atmen, ein Teil bleibt unbenutzt. Das bedeutet also, dass ich weiterhin mit Ventolin inhalieren muss.

Dafür hab ich was Gutes zu vermelden: In der Nacht hab ich doch tatsächlich einmal den ganzen Schoppen zu 75 ml ausgetrunken. Hab dazu zwar ellenlang gebraucht, aber hier zählt in erster Linie die Leistung und nicht das Resultat.

Leider bliebs dann nicht dabei: Bei Mami trank ich dann jedenfalls nur noch 15 ml, wahrlich keine Meisterleistung!

Heute hatte Mami wieder mal sehr viel zu tun: Mir die Magensonde stecken (uaaaaah), mit dem Oberarzt ein ausführliches Gespräch (vollgespickt mit Fremdwörtern) führen und vor allen Dingen mein zu Hause für meine Heimkunft vorzubereiten. Da musste noch schnell mein Bettchen aufgestellt, der Kinderwagen zusammen gebaut und mir ein spezielles Lagerungskissen genäht und gestopft werden. Eine Mami im Nestbautrieb, wie wahr!

15.8.

2940 g, 46 cm, Kopfumfang 32,5 cm. Da wären wir also, am lang und sehnsüchtig erwarteten Tag meiner Heimkehr. Selbstverständlich kommen jede Menge Schwestern und Ärzte vorbei, um sich alle noch von mir zu verabschieden. Ich war ja soooo lange hier, mich kennt jeder!

Vor der Heimreise gibt’s noch kurz ein paar letzte Handlingsinstruktionen, und nun sollte alles startklar sein.

Tschüss Inselspital, das wars dann erstmal. Wir kommen für diverse Untersuchungen bald wieder. Aber wohnen tue ich ab hier und jetzt bei meiner Mami, meinem Papi und meiner Schwester Luana!

--> mein Austrittsbericht (Vorsicht, jede Menge unverständliche lateinische Ausdrücke):

Kurzaustrittsbericht

Hauptdiagnose:

• Frühgeborener Knabe der 25 5/7 SSW
• GG 780 g (P 10-25), GL 33 cm (P 25-50), KU 23 cm (P 10-25)
• St.n. Atemnotsyndrom
• Konventionelle Beatmung 05.05.03-06.05.03, 08.05.03-09.05.03
• CPAP 06.05.03-08.05.03, 09.05.03-29.05.03
• CLD
• Aldactone/Esidrex 06.06.03-02.08.03
• St.n. Aspiration
• Konventionelle Beatmung 10.06.03-26.06.03
• Apnoe-Bradykardie-Syndrom des Frühgeborenen
• Coffein p.o. 11.05.-21.7.03
• Ernährungsstörung
• Gastro-Oesophageale Reflux-Erkrankung
• Neonatale Anämie
• EK-Fransfusion am 07.05., 22.05., 31.05.03
• St.n. Pyelonephritis
• St.n. systemischer Candida albicans Infektion
• Nachweis cutan und im Urin
• Systemische antimykotische Therapie 18.05.03-01.06.03
• St.n. nosokomialer St. Aureus-Infektion
• Abszessbildung Thorax und Oberarm
• Kryptorchismus bds

Nebendiagnosen:

• St.n. neonataler Hypoglycämie
• BZ minimal 1.4mmol/l
• St.n. neonataler arterieller Hypotonie
• St.n. Hyperbilirubinämie des Neugeborenen
• Fototherapie 06.05.-07.05.,08.05.-09.05, 10.05.-11.05., 13.05.-14.05.03

Therapie im Spital

• iv-Antibiotikatherapie
• 05.05.03-12.05.03
• 02.06.03–10.06.03
• 21.06.03-28.06.03
• Physiotherapie

< 14. Woche